Die Jagd auf den DugongAuszug aus Jules Verne's "20.000 Meilen unter den Meeren". Die Nautilus befand sich im Roten Meer vor Dschidda, als sich folgendes abspielte:
"Muß irgendein Seetier sein!" sagte der Kanadier. "Gibt's denn hier Wale?" fragte Conseil. "Selten." "Wale kenn' ich", sagte Land. "Und das ist keiner. Wir müssen warten, bis wir näher heran sind." Unsere ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich jetzt beim Näherkommen auf dieses merkwürdige Tier. "Seh' ich recht?" rief Ned Land plötzlich. "Es schwimmt, es taucht wie ein Wal. Aber das ist kein Wal, zum Teufel. Diese Flossen sehen aus wie verstümmelte Gliedmaßen ... Es liegt da auf dem Rücken ... und streckt seine Brüste in die Luft . . ." Dann ist's eine Sirene!" rief Conseil. "Eine echte Sirene!" Und das machte mir endlich klar, worum es sich handelte. Das Tier war eine Seejungfer, ein Dugong, wie es der Malaie nennt. "Dugong!" sagte ich. "Gattung Seekühe, Familie Säugetiere, Ordnung Wirbeltiere, Klasse Chordatiere", sagte Conseil. "Das hab' ich noch nie harpuniert!" seufzte der Kanadier sehnsüchtig. "Wollen Sie?" fragte der Kapitän, der hinter uns getreten war und die letzten Worte von Ned Land gehört haben musste. "Allerdings, Kapitän!" "Aber seien Sie vorsichtig." "Warum, ist das Tier so gefährlich?" "Das Tier selbst ist völlig harmlos. Aber es zeichnet sich eine starke Liebe zu seinen Angehörigen aus. Und oft geschieht es, daß man ein Tier harpuniert und sich damit den ganzen Schwarm auf den Hals lädt." "Schmeckt es eigentlich?" "Vorzüglich. Sein Fleisch ist tatsächlich Fleisch, die Malayen jagen das Tier, um die Tafel ihrer Fürsten zu bereichern. Und natürlich wegen der Zähne, die angeblich manche Krankheiten zauberhaft heilen." Wenige Augenblicke später war das Boot startbereit. 7 Matrosen der Mannschaft des Kapitäns begleiteten uns. "Sie bleiben hier, Kapitän?" "Ja. Waidmannsheil", sagte er, fein differenzierend, da das zu erlegende Tier zu den Säugern gehörte. Der Dugong befand sich zu diesem Zeitpunkt etwa 2 sm von der Nautilus entfernt, doch kamen wir rasch näher heran, da er an der Wasseroberfläche zu schlafen schien. Je mehr wir uns dem Tier näherten, desto vorsichtiger tauchten die Ruderblätter ins Wasser. Bald erkannten wir, daß der Gegner, den Ned Land sich ausgesucht hatte, fast 7 m lang war, eine gewaltige Masse Tier, die da auf dem Wasser trieb und schnarchende Atemgeräusche von sich gab. Nur ein paar Meter trennten um noch von dem schwarzen Körper, da bog sich der Kanadier mächtig zurück, holte aus und schleuderte seine Harpune. Man hörte ein Zischen, und der Dugong verschwand. |
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Wir bekamen bis zu den Knien Wasser ins Boot, schlugen aber nicht um. Ned umklammerte mit seiner Hand den Vordersteven und stach mit der Harpune auf das Tier ein. Der Dugong bekam den Bootsrand in das breite Maul und hob unser Fahrzeug fast aus dem Wasser. Wir purzelten übereinander, und ich weiß nicht, wie die Sache ausgegangen wäre, wenn der Kanadier nicht in diesem Augenblick der rabiaten Seejungfer das Herz durchbohrt hätte.
erstellt 23 Jan 00
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